Interview mit Dr.med. Daniela Weiler, Ernährungsmedizinerin und Onkologin
Frau Dr. Weiler, vegane Ernährung hat in den letzten Jahren massiv an Popularität gewonnen. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für diesen Boom?
Dr. Daniela Weiler: Für einige geht es vor allem um ihre persönliche Gesundheit, für andere um die Umwelt und die Gesundheit unseres Planeten, und wiederum andere handeln aus Tierwohl-Gründen. Zusätzlich bietet der vegane Trend auch der Lebensmittelindustrie einen neuen Markt, um Produkte zu entwickeln und zu vermarkten. Und nicht zuletzt tragen die sozialen Medien und Influencer dazu bei, dass vegane Ernährung nicht nur als Ernährungsweise, sondern als eigentliche Lebenseinstellung gesehen wird.
Welche gesundheitlichen Vorteile sehen Sie in einer veganen Ernährung, insbesondere im Vergleich zu einer nicht-veganen, omnivoren Ernährung?
Dr. Daniela Weiler: Ich spreche ungern pauschal von „vegan“, da vegan nicht automatisch gesund bedeutet. Es kommt darauf an, welche Produkte konsumiert werden. Naturbelassene pflanzliche Lebensmittel wie Gemüse, Vollkorn, Früchte, Salat, Samen und Hülsenfrüchte sind sehr gesund. Daneben gibt es aber auch viele hochverarbeitete vegane Ersatz- Produkte, die gesättigte Fette, Zucker und Zusatzstoffe enthalten und der Gesundheit nicht zuträglich sind.
Eine pflanzlich vollwertige Ernährung unterstützt unsere Gesundheit, da sie dank des hohe Ballaststoffanteil,
des Gehalts an sekundären Pflanzenstoffen und ihrer nährstoffreichen, energiearmen Zusammensetzung entzündungshemmend wirkt und das Risiko für Übergewicht verringert.
Die traditionelle fleisch- und Milchprodukt-lastige Ernährung hingegen, enthält einerseits zu wenig Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe, andererseits ein Übermass an gesättigten Fetten und schnell verdaulichen Kohlenhydraten und fördert chronische Entzündungen und damit westliche Krankheiten wie Krebs, Diabetes und Herz-Kreislaufkrankheiten.

Gibt es bestimmte Nährstoffe, die bei einer rein pflanzlichen Ernährung besonders kritisch sind, und wie können Veganer sicherstellen, dass sie keine Mängel entwickeln?
Dr. Daniela Weiler: Vitamin B12 ist das Einzige, das bei einer veganen Ernährung wirklich kritisch ist. Dieses Vitamin wird von Bakterien produziert und ist in pflanzlichen Nahrungsmitteln nur in ungenügenden Mengen enthalten. Für Menschen, die sich rein pflanzlich ernähren, ist es daher notwendig, Vitamin B12 in Form von Nahrungsergänzungsmitteln
zu supplementieren.
Das ist jedoch das einzige Nahrungsergänzungsmittel, das bei einer veganen Ernährung empfohlen wird. Ansonsten liefert eine ausgewogene, pflanzlich vollwertige Ernährung alle notwendigen Nährstoffe, ohne dass zusätzliche Präparate nötig wären.
Es herrscht die eingeschränkte Sicht vor, dass eine pflanzliche Ernährung zu Mangelerscheinungen führt. Dabei wird ausser Acht gelassen, dass unsere traditionelle fleisch- und milchlastige Ernährung einen riesigen Mangel an für die Gesundheit essentiellen Ballaststoffen, sekundären Pflanzenstoffen und Vitaminen aufweist.
2022 gaben 37% der Schweizer an, nur gerade maximal eine Portion Gemüse oder Früchte pro Tag zu essen und nur 9% erreichten die empfohlen 5 Portionen/Tag!
Die Qualität von veganen Lebensmitteln ist ein zentraler Aspekt. Viele Menschen greifen zu stark verarbeiteten Ersatzprodukten. Wie sehen Sie diese Entwicklung und welchen Einfluss haben solche Produkte auf die Gesundheit?
Dr. Daniela Weiler: Diese Entwicklung sehe ich sehr kritisch, da sie nicht gesünder ist als die bisherige, traditionelle fleischlastige Ernährung. Das, was im Garten wächst, sollte den Hauptbestandteil unseres Essens ausmachen. Verarbeitete, künstliche Produkte enthalten oft zuviel gesättigte Fette, Zucker und Zusatzstoffe, die unsere Darmflora schädigen und Krankheiten begünstigen. Wir benötigen keine veganen Ersatzprodukte!

Immer mehr Studien sprechen über die Risiken von Fleischkonsum, vor allem im Zusammenhang mit chronischen Erkrankungen wie Krebs. Wie schätzen Sie diese Risiken ein?
Dr. Daniela Weiler: Die Mehrheit der Menschen in der Schweiz isst viel zu viel Fleisch. Empfohlen werden höchstens zwei bis drei kleine Portionen Fleisch oder Fisch pro Woche. Verarbeitetes Fleisch wie Wurstwaren, Aufschnitt und Schinken sollten wir am besten gänzlich weglassen.
Das Problem beim Fleischkonsum ist, dass Fleisch viele gesättigte Fette und Proteine enthält, aber keinerlei Ballaststoffe. Zudem entstehen bei starkem Erhitzen krebserregende Stoffe. Da verarbeitetes Fleisch bereits in 5-fach geringerer Menge krebsauslösend ist, wird empfohlen, darauf ganz zu verzichten.
Gleichzeitig essen Menschen, die stark fleischlastig leben, oft zu wenig
Gemüse, Früchte und Salat. Das führt
zu einem Mangel an gesunden Inhaltsstoffen wie Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen.
Manche Menschen sagen, sie möchten sich nicht vorschreiben lassen, was sie essen sollen. Was entgegnen Sie solchen Aussagen?
Dr. Daniela Weiler: Uns allen ist nicht bewusst wie stark wir uns beeinflussen lassen, was wir essen. Wir sind nicht frei in unseren Entscheidungen, sondern werden unbewusst sehr stark von der Industrie, von Werbungen und davon, was in den Regalen steht, in unserem Konsum gelenkt.
Meiner Ansicht nach ist es essentiell, sich dessen bewusst zu werden und selbstständig zu entscheiden, was gut für uns ist.
